Toni Völker

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Biografie

Toni Völker

1948 am 13. September geboren, aufgewachsen im mittelfrän kischen Dinkelsbühl
1971 Studienbeginn am Bayerischen Staatskonservatorium Würzburg
1975 Fortsetzung des Studiums an der Hochschule für Musik Würzburg (Klavier, Musiktheorie, Komposition)
1977 Kompositions- und Musiktheoriestudium an der Staatlichen Hochschule für Musik Karlsruhe bei Eugen Werner Velte
1982 Konzertexamen KA II Komposition. Diplom Musiktheorie
1983 Lehrauftrag für Musiktheorie an der Staatlichen Hochschule für Musik Karlsruhe
1985 Kompositionslehrer und Leiter des Seminars für Neue Musik an der Akademie für Tonkunst Darmstadt; seither auch Leiter der TAGE FÜR NEUE MUSIK Darmstadt

 

 

Werkverzeichnis

(Auswahl)

1977 "Der 77. Psalm" für Sopran, Männerchor und Instrumente
1978 "Topos" für Mezzosopran. Bariton. Violine und Violoncello
1979/80 "18.2.43 - Der Krieg", zwei Sätze für großes Orchester und Sprecher
1980 " 3 Sätze für Blockflöten und Cembalo"
1980 "Dezimet" für Bläserquintett, Streichtrio. Klavier und Schlagzeug
1980/81 "Sphères" für Klavierquartett und Sopran nach Texten von Georg Trakl
1981 "Tröstet mein Volk" geistliches Konzert für Chor und Orgel
1981-84 84 "Kammerrequiem" in 5 Sätzen für Sopran. Chor, Violoncello und Orgel
1981/82 "Entfindung/Overkill" für hohe Stimme, Flöte, Klavier und Tonband
1982 "Lichtreiz" für Orgel
1984/85 "Memento" 3 Lieder für Sopran, Klarinette und Klavier nach Texten von Else Lasker-Schüler
1986 "Integral", Konzert für Schlagzeug und Kammerorchester
1987 "Quartett 1 " für Blockflöten. Violoncello, Klavier und Schlagzeug
1987 "Visages brüles" für Klaviertrio
1989 NOMOS- Gegenbild" für Kammerorchester
1990 >>Labime" für Altflöte. Violoncello und Akkordeon
1992/94 "Continuamente" für Quintett
1993 "Ininterrotto" für Streichtrio
1994 "Esposizione- nero e bianco" für Percussionquartett
1994 "Quartett 2" für Querflöte, Violoncello, Klavier und Schlagzeug
1994/95 "Rotas" für Percussion und Live-Triggering

 

 

Auf der Suche - Aspekte meiner Arbeit

Vom spätexpressiven Denken ausgehend, ist - bis etwa in die Mitte der 80er Jahre hinein - der überwiegende Anteil insbesondere meiner kammermusikalischen Arbeiten von stark subjektiver Expressivität und Gestik geprägt; gleichzeitig fand in und neben den Kompositionen eine zunehmende Auseinandersetzung mit anderen, meine subjektive Befindlichkeit immer mehr in den Hintergrund meines Denkens und Arbeitens rückenden Ansätzen statt. Das, was Umberto Eco als "ernüchtertes Kunstwollen" bezeichnet, scheint für mich auslösend gewesen zu sein, das aus der monodischen Tradition herrührende Vorder- und Hintergrund-Denken in meinen Kompositionen zunehmend in Frage zu stellen. Das sich auch im Begriff der Fungibilität nur diffus Erschließende, die gegenseitige Austauschbarkeit von Vorder- und Hintergrund, das Für-Einander-Stehen von Text und von Kontext, das Schaffen von solchen Klangzuständen, in denen jeder einzelne Ton sich den jeweils strukturgebenden Überlegungen eingliedert und anstelle hierarchischen Dominierens und Dominiertwerdens andersgeartete Beziehungen entstehen können, führte zu einem gänzlich anderen Denken, das zwangsläufig seinen Ausfluß in meinen Arbeiten fand.

Eine Reduktion eigenster Befindlichkeit zugunsten des Nachhörens wesentlicherer, in der Beschaffenheit von Klang, Farbe und Schwingung des Tons liegender Kräfte, war die Folge. Ich begann ganz bewußt, in meinen Arbeiten keine Antworten mehr zu geben; so in L'ABIME (1990) für Altflöte. Violoncello und Akkordeon: Die von Anfang an fragilen; vierteltönigen, "unsauberen" Anfangsklänge lassen keine Sicherheit mehr beim Hören aufkommen: LABIME , der Abgrund, ist ständig präsent, Entscheidungen werden von mir aber nicht mehr getroffen; Bestätigungen und Antworten dessen, was vom Hörer an einzelnen Stellen vermutet oder erwartet wird, bleiben aus.

Sciacinto Sc elsis ganz eigene Art, die Existenz oder Identität eines Tones nicht mehr auf eine bestimmte distinkte Tonhöhe zu begrenzen, sondern einen geweiteten Tonort zu schaffen, der durch mikrointervallische Glissandi und vierteltönige Parallelklänge einen -nicht mit einem Cluster zu verwechselnden - komplexen und vielschichtigeren Klang ermöglicht, war für mich einer der Anlässe. mich mit dem, was mit Fläche nur unzureichend und ungenau umrissen werden kann, auseinanderzusetzen.

Wie kann ich das, was eben als Aufhebung von Hinter- und Vordergrund-Denken bezeichnet wurde, denn nun kompositorisch fassen- Sind diejenigen Klanggrößen, welche vorher vielleicht mit Harmonie und Melos faßbar waren. in einer Art von Fusion als Aggregate greifbar?

Nein, alles Wahrnehmbare trägt zur dergestalten Klangerfahrung bei; Äußerungen im Sinne einer sich selbst darstellenden Singularität finden keinen Raum, alles Hörbare trägt dazu bei, das über die Einzelklänge hinausgehend Wahrnehmbare zu ermöglichen.

Wie können solche - in sich heterogene, widersprechende, auch fluktuierende - Wahrnehmungsebenen und Flächen beschaffen sein? Ich denke; ebenso unterschiedlich und vielfältig wie ihr Vorkommen: In meinen Arbeiten sind sie als homogene, fließende, miteinander atmende Spielweisen ebenso zu finden wie als krass sich verhakende, repetierende, insistierende und verhärtete.

Da seit langem im Zentrum meines Denkens die Auseinandersetzung mit dem steht, was sich durch Ernst Blochs "auf dem Wege sein.< skizzieren läßt, und damit verbunden, die Auflösung des vermeintlich Festen, greift dieses Denken auch in die Strukturierung meiner Kompositionen ein: So findet sich in NOMOS - Gegenbild (1989), einer Komposition für Kammerorchester, ein ca. 6minütiger Abschnitt, der ebensolches Fließen und wesentliche Bewegung widerspiegelt: Vom fast Unhörbaren zum sehr Präsenten hingehend, auf allen Ebenen den Übergang, das Transitorische, das Nichtverfestigen beinhaltend.

Die 6 Streicher spielen, von zwei 3-Tongruppen ausgehend (e/f/ges und b/h/c), einen ausschließlich durch fast unmerkliche Glissandi vollzogenen Aufhellungsprozeß. Der Tonvorrat wird erweitert durch Hinzunahme der Vierteltöne ober- und unterhalb der 6 Töne, so daß sich letztlich 2 je 7 Töne umfassende Vierteltongruppen ergeben. An Glissandointervallen gibt es nur Vierteltöne und kleine Terzen, die in 1,5 bzw. 9 Sekunden durchglitten werden.

Die Länge der einzelnen Glissandi bleibt beibehalten, ihre Dichte steigert sich jedoch zunehmend; hinzu kommen auch Überschneidungen und parallele Glissandoführungen. Die Streicher erhalten durch Harfe und Schlagzeug., später auch durch Bläser, bestimmte Impulse, ihre Intensität zu verdichten. Am Höhepunkt der Intensitätskurve schlägt der verwendete Tonvorrat um in das chromatische Total, nichts Gleitendes ist mehr zu hören, das Gegenbild ist erreicht: Die Tonhöhen werden insistierend beibehalten und unfähig der Veränderung, der Bogendruck der Streicher steigert sich, nur noch Abstriche sind möglich. Vereinheitlicht wird durch Streichen am Frosch, eine Verhärtung kennzeichnet die Situation. Dann setzt sich wieder die fließende Bewegung durch, jetzt aber nicht mehr an allerkleinste Sukzession gebunden:, die gesamte Entwicklung endet in der Rückführung auf die Ausgangstonhöhen der zwei 3-Tongruppen. (Siehe Notenbeispiel 1.)

Der erwähnte Begriff einer differenziert/heterogenen Fläche läßt sich auch für weite Teile des Streichtrios ININTERROTTO (1993) in Anwendung bringen, so in der stürmisch nach oben sich entwickelnden Anfangsphase der Komposition: Durch eine halbtönige Höherstimmung der III. (Violine, Viola), bzw. IV. Saite (Violoncello) wird der Tritonus bei jedem der 3 Instrumente als Leersaitenintervall benutzbar, in Verbindung mit gegriffenen Saiten ergeben sich dadurch reizvolle, von den Spielern schnell erreichbare Tonhöhenkombinationen.

Jedes der 3 Instrumente verwendet in dieser Aufbruchsphase neben den gegriffenen, linear ansteigenden Tonhöhen in verstärktem Maße Leersaitenkombinationen (incl. der Tritoni durch Scordatura); dadurch wird eine nur minimal verschobene Präsenz von mehreren Tönen pro Instrument möglich, was den Höreindruck einer intensiv geführten flächigen Schichtung ergibt.

In relativ kurzer Zeit durchschreitet ININTERROTTO den nach oben hin verfügbaren Tonraum. Endpunkt scheint das im Violoncello in kleinen Schritten erreichte b4 zu sein: Aus dem fast völligen Verschwinden in die Unhörbarkeit des Cellotones entstehen jedoch am Quasiumschlagplatz an der Hörbarkeitsgrenze neue Fluktuationen. Interferenzen, sowie anders geartete Kräfte der Durchsetzung. Überall ist der Übergang, das Vermeiden von Verfestigung und Endgültigkeit, die bei NOMOS bereits angesprochene und in LABIME sich wiederum völlig anders gestaltende ständige Umwandlung, treibende Kraft.