Ernst-Lothar von Knorr

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Ernst-Lothar von Knorr, dessen einhundertsten Geburtstag wir am z. Januar 1996 begangen haben, steht als Komponistenpersönlichkeit in einer langen und ungebrochenen Tradition gemeinsam mit jenen Meistern der Musikgeschichte. die sich nicht ausschließlich auf die Tätigkeit des Tonsetzers konzentriert haben. Wie bei Johann Sebastian Bach und Paul Hindemith - um nur zwei exponierte Musiker aus unterschiedlichen Epochen hervorzuheben - trat auch bei von Knorr neben den schöpferischen, der pädagogische Impuls und ergänzte ihn auf mannigfaltige und für die Betroffenen segensreiche Weise. Dabei ist nicht zu übersehen. daß das pädagogische Engagement in seiner Biographie phasenweise so stark im Vordergrund stand, daß es zumindest partiell seine schöpferische Tätigkeit einschränken mußte.

So muß eine Würdigung von Knorrs immer zugleich eine doppelte sein: Sowohl in der Geschichte der Komposition, wie auch in der Geschichte der Musikpädagogik errang er sich einen festen Platz, in beiden erscheint er als starke und unverwechselbare Persönlichkeit. Daß sein Nachruhm als Komponist- ablesbar an öffentlicher Resonanz und Aufführungsstatistiken - sich in Grenzen hält. verbindet ihn mit manchem anderen Musiker unseres Jahrhunderts und besagt zunächst überhaupt nichts über den Weit seines künstlerischen Schaffens: Die Musik von Knorrs gehört nicht in die großen und oft modisch überbetonten Strömungen des Komponierens im 20. Jahrhundert; sie enfaltete sich vielmehr in ihrer charakteristischen und sehr berechtigten Nische zwischen Atonalität und Serialität einerseits, sowie einem eher rückwärtsgewandten späten Romantizismus andererseits. Diese Nische kennzeichete der Musikwissenschaftler Ludwig Finscher (in einer Rede zum 20. Todestag des Komponisten) wie folgt: "Der Komponist Ernst-Lothar von Knorr begann in den zwanziger Jahren, ganz, ähnlich wie der genau gleichaltrige Paul Hendemith, im Zeichen der musikalischen Jugendbewegung, der Neuen Musik für das Laienmusizieren- in extremer Gegenposition gegen die zweite W jener Schule-, der W iederentdeckung des Volksliedes und der vor-tonalen Vokalpolyphonie des 15. und 16. Jahrhunders, zugleich aber im Zeichen der von Reger und von den musikwissenschaftlichen Schriften Albert Schweitzers und Ernst Kurths ausgehenden Wiederentdeckung der barocken Polyphonie, vor allem Bachs. Die wenigen erhaltenen Werke vor 1944 zeigen die enorme Fruchtbarkeit dieser stilgeschichtlich so komplizierten Gemengelage, wiederum ganz ähnlich wie bei Hindemith, aber mit einem charakteristischen Unterschied, der in der Gegensätzlichkeit der beiden Persönlichkeiten wurzelt: Knorr fehlt die Unbekümmertheit, der Walle zum Provozieren, der gewaltige Temperamentsüberschuß des jungen Hindemith: seine Musik ist verhaltener. introvertierter-so wie es der Mensch war-, auch in den experimentellen Werken und in den aalblitzenden Momenten expressiver Kraft. Es ist kein Zufall, daß der Schwerpunkt des Schaffens in der Kammermusik, im Lied und im Chorsatz liegt. Vieles dieserersten Phase bleibt in den Werken nach 1945 präsent, vorallem die stilistischen Grundlagen: frei-tonale, lineare Melodik und kontrapunktistischer Satz."

Die Ausführungen Ludwig Finschers können zugleich auch als Einführung in die verschiedenen Kompositionen dienen, die auf der vorliegenden CD eingespielt sind. Verbindendes Element ist dabei der Einsatz der menschlichen Stimme in apart wechselndem instrumentalem Rahmen oder, als Gegensatz., chorisch a cappella. Die gemischten Chorsätze stehen hier stellvertretend für Knorrs reiches Schaffen auf diesem Gebiet und dokumentieren seine einfühlsame Praxisnähe, die den Tonfall der Volksliednähe niemals zu anbiedernder Imitation mißbraucht, sondern ihn bruchlos einbindet in die handwerklich meisterliche Fügung des Tonsatzes, dem überdies immer eine gewisse. wenn auch verhaltene, Sinnlichkeit eignet.

Die eigentümliche Romantik der sechs russischen Liebeslieder, komponiert kurz nach dem 2. Weltkrieg 1949, erfährt Verfremdung und Verklärung zugleichdurch das Ensemble der vier (hier solistischen) Frauenstimmen, die von einem durchsichtig-konstruktiven Klaviersatz getragen werden. Ungemein reizvoll gibt sich die klangliche Kombination in den vier französischen Gedichten, in denen die solistische Frauenstimme nun vom durchsichtigen Stimmengewebe eines Streichquartettes gestützt wird, wobei die bis weilen ausbrechende Leidenschaftlichkeit der Liebeslyrik in der eher zurückgenommenen Linearität des Instrumentalsatzes aufgefangen wird.
Das konstruktive Element wiederum steht im 3. Streichquartett von 1969 erkennbar im Vordergrund; gerade in diesem sich meisterlich in die lange Gattungstradition einfügenden, ungemein konzentrierten Werk zeigt sich aber auf überzeugende Weise. daß sich Knorrs Könnerschaftkeineswegs im Handwerklichen erschöpft: Leidenschaft und Tiefsinn, Kontrapunktik und Klangsinn sind kunstvoll in der Balance gehalten und fügen sich in vier kontrastierenden Sätzen zu einem komplexen und dennoch unmittelbar verständ lichen Instrumentalzyklus.
Arnold Werner-Jensen

 

Ernst-Lothar von Knorr whole birthday was celebrated an January z. 1996 belongs to those composers w with a long and unbroken tradition. Similar to other masters in the history of music such as Johann Sebastian Bach and Paul Hindemith. von Knorr concentrated his talent not only an musical composition, but was also heavily involved in diverse fields of educational furtherance. lt should be emphasized that von Knorr's pedagogical functions were often so abundant that his musical creations were therehy partially curtailed. Ernst-Lothar v. Knorr deserves a double honor, not only in composition but also in musical edueation. He attained a solid position as a strong and unmistaken personality in both fields. The praise attributed to von Knorr's compositions, acquired through public resonance and performance statistics, although limited, is similar to other composers of this century. lt reveals absolutely nothing conceming the true value of his artistic abilities. Von Knorr's music does not belong to the expounded and often over-accentuated rundes and fads of musical movements of the twentieth century. His music unfolds more in the characteristic and justitiable niche between atonality and seriality an the one hand and the retrograde style of late romanticism an the other. The musicologist, Ludwig Finscher in a speech an the 20th anniversary of the death of ErnstLothar von Knorr surnmarized this niche in the following:

"The cornposer Ernst-Lothar von Knorr began his career similar to the saure-aged Paul Hindemith in the 1920's, marked by the musical young movement. that is, music of amateur musicians which included the re-discovery of folksongs and the pre-tonal vocal polyphony of the fifteenth and sexteenth century. all of wich was in extreme contrast to the second V Vienese school. This occured sirnultaneously during Reger's.

 

 

The musicologists Albert Schweitzer and Ernst Kurth'sre-discovery of Baroque polyphony, which is especially marked by Bach. The few preserved works of von Knorr prior to 1994 demonstrated the enormous productivity in this particularly complicated age of mixed musical styles. Von Knorr and Hindemith were very similar during this time, but differentiated from another in that Hindemith expressed a carefree and unconcerned style with a touch of provocation and a tremendous surplus of temperament. Von Knorr's music is restrained and more introverted. similarto the people of those times,even in his experimental works although in fulgurative moments he demonstrates expressive power. It is no coincidence therefore that von Knorr's main areas of musical production dealt with chamber music. song and choral compositions. Many of these especially the stylistic foundations consisting of free tone, linear melody and counterpoint."

The accomplishments of Ludwig Fincher could also similarly serve as a introduction in the different compositions presented by von Knorr in the CD: Complimentary elements concern the use of voices alternating with instruments or, in contrast, choral a cappella. The various choral compositions represent von Knorr's rich productivity in this particular musical area and document the fine feeling and success in his musical labors. Von Knorr never abused similar imitations of the intonations of the folksongs of the times, but rather uninerrtuptedly connected the masterful artistic poise with his compositions which is characterized by a certain discrete quality of sensuality. The romanticism of the six Russian love songs composed shortly after the war in 1949 simulataneously express astrangement and transfiguration by means of clear and constructive piano arrangements and sung by four women (each a soloist) in the ensemble. Especially attractive are the sound combinations of the four French poems sung again by the four soloists accompanied by a fine transparent tone of chambre music whereby the liberating and passionate qualities of the love lyrics are captured by a rather discrete and modest lineality of instrumental background.

The constructive element of von Knorr's music,on the other hand, is recognized in the third string quartette of 1969. In this particularly long traditional form of music, von Knorr convincingly blends into the current musical style and demonstrates through this masterful composition his abilities to balance passion together with depth, counterpoint and tonality wich unite in four contrasting sets resulting in a complex but directly understandable instrumental cycle.
Translation: Dr. Jon Greenberg

 

Chronologisches Verzeichnis der wichtigsten noch erhaltenen Werke
1915

3 Gesänge für Bariton zu Klavier (W. F. Haas)

1924 Thema- Variationen und Fuge für 2 Geigen Möseler
1926 Solosonate für Violoncello
Trio für Violine. Viola und Violoncello
1932 Sonate für Alt-Saxophon und Klavier Gravis
Bläsermusik Nr. II für Trompete, Alt-Saxophon und Fagott Tonger
Introduktion für 3 Saxophone zu einem Chor von Morgenstern
3 Kantaten für einstimmigen Chor und Streichorchester, Schicksal/Aufruf/Unser die Sonne Hansen
1935 Kammersonate für Klavier Tonger
1936 Serenadenmusik für Orchester Kantate zum Erntedankfest
1938 2 Kantaten (Busch) Der Lohn des Fleißes- Die Strafe der Faulheit Peters
1943 4 Lieder für eine Sopranstimme und Klavier (Hölderlin, Nietzsche, Rilke und George)
1944 6 Kinderlieder (Morgenstern) Tag-Gesang 1 - III (George) Bärenreiter
1945 "Ein Strauß für dich gepflückt" (15 einfache Lieder für Singstimme mit Klavier) Bärenreiter
Kleine Sonate in D für Klavier Bärenreiter
Sonate für Violine und Klavier Kantate zur Weihnacht
1946 Partim für Violine solo Amadeus Streichquartett mit Singstimme "Wie wandelt alles doch das Licht" Lyrische Kantate "Stimmen des Lebens" Kantate "Gott ist nahe" (Pestalozzi)
1947 Sonatine in A für Klavier Serenade für Streichorchester (Neufassung 1973) Tonger
1948 Nächtliche Suite für Klavier Tonger Sonate in G für Violoncello und Klavier Tonger Introduktion-Toccata-Interludium-Passacaglia für Orgel
1949 5 Lieder (Hesse) für Sopran und Klavier
1950 5 Gesänge (Rilke) für Bariton und Klavier (oder Orchester)
1951 Kleines geistliches Konzert 1 Kantate "Hymnus des Friedens" Kantate "Das Weihnachtsbedenken" Bärenreiter
1953 Kantate "Feier der Arbeit"
1954 Kammermusik Nr. IV für Flöte- Viola und Violoncello
1955 Kammermusik Nr. V für Flöte. Viola und Violoncello Solosonate aus "West-östlicher Diwan" (Goethe)
1958 Kammermusik für 5 Bläser möseler (Flöte, Oboe. Klarinette in B, Horn in F und Fagott)
1961 Duo für Viola und Violoncello Amadeus 1962 Kantate "Freundschaft"
1966 Kleine Suite für Flöte und Violoncello
1968 Kleines geistliches Konzert 11
1969 Streichquartett Bärenretter
1970 Fantasie für Klarinette und Klavier
1971 Diaphonia a due pianoforti Bärenreiter
1972

II. Sonate für Violoncello und Klavier Bärenreiter




Vita
1896 am z. Januar in Eitorf/Sieg geboren, in Bonn aufgewachsen
1902 erster Violinunterricht
1907 Aufnahme in das Kölner Konservatorium, Lehrer u.a.: Carl Körner, Bram Eldering (J. Joachim-Stipendium)
1912 erste Komposition
1914 Abitur, Konservatoriumsexamen, Militärdienst
1919 Violinlehrer an der Heidelberger Musikakademie, gleichzeitig kompositorische und musikwissenschaftliche Studien
1920 mit P. Gies die Heidelberger Kammerorchester Vereinigung gegründet
1923 Konzertmeister bei dem Orchester des Djaghilewballets in München
1924 Aufbau und Leitung der Volks- und Jugendmusikschule-Süd in Berlin
1937 Slaatl. Hochschule für Musik in Berlin (1940 Professur)
1941 stelle. Direktor der Hochschule für Musik in Frankfurt/M.
1944 durch Luftangriff Totalverlust seines bisherigen kompositorischen Schaffens
1945 Aufbau und Leitung des Staatl. Hochschulinstituts für Musikerziehung in Trossingen
1952 Direktor der Akademie für Musik und Theater in Hannover
1961 Großes Bundesverdienstkreuz
1961 Pensionierung. Leitung der Hochschule für Musik und Theater in Heidelberg bis 1969
1973

am 30. Oktober in Heidelberg verstorben.



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