Visages Brûlés

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Lebenslauf

 

Werkbetrachtung

Zu "INTEGRAL" - Konzert für Schlagzeug und Kammerorchester in 2 Sätzen (1986)
Auftragswerk des Badischen Staatstheaters Kartsruhe, mit Unterstützung durch das Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg. Stuttgart

Der Konzeption von INTEGRAL liegt der Gedanke zugrunde, durch Aufhebung tradierter fester Rollenzuteilung im Wechselspiel von Solo und Orchester zu einer anderen, geweiteten Sicht des Begriffes Konzert zu gelangen. Ideal dafür schien mir die Besetzung mit Schlagzeug und Kammerorchester, da sich innerhalb des solistisch besetzten Orchesters einerseits Gruppierung vielfältigster Art bilden lassen, andererseits selbst der Tuttiklang des Orchesters in atmender Transparenz gestaltbar ist. Das umfangreiche Percussionsinstrumentarium gerät aufgrund unterschiedlichen Ausgangsmaterials (Holz; Fell, Stein, Metall usw.) und individueller Beschaffenheit zu einem in Vielfalt und Farbe unerschöpflichen Fundus, der vom puren Geräusch bis zu hochästhetisierter Klanglichkeit reicht. Somit sind die Voraussetzungen für ein sich im Verlaufe der Komposition ständig veränderndes Beziehungsgeflecht im Verhältnis von Schlagzeug und Orchester gegeben.

Tragen Teile des Schlagzeugs insbesondere bei statisch-blockhaften Klängen und/oder fluktuierenden Klangbändern rein orchestral-integrierte Funktion, so lassen sich neben den Kadenzen und solchen Passagen, die-im Sinne eines Solokonzertes-fastausschließlich XylophonNibraphon dem ganzen Orchester gegenüberstellen, eine Fülle von Kombinationen der verschiedensten Orchester- und Percussionsinstrumente in miteinander-konzertierender Funktion wahrnehmen. Wesentlich dabei wird, daß in diesen kleinen; sich ständig umschichtenden und neu gestaltenden "Concertinos" immer wieder neue Instrumente zur exponierten Darstellung kommen: Dies gilt beispielsweise für die Verbindungen von Harfe, Klavier und Schlaginstrumenten in äußerst intensiv geführten Gesprächen ebenso wie für die im Jazz beheimatete Trio-Besetzung Trompete. Saxophon und Vibraphon.

Erst gegen Ende des z. Satzes wandelt sich der kammermusikalische Duktus weiter Teile des Konzertes: Vom Unhörbaren kommend entwickeln sich in zartesten Farbschattierungen flächenhafte, binnenstrukturierte Klangschichten der Streicher, anfangs noch hinter den linear geführten Bläsern nicht wahrnehmbar, dann aber zunehmend dominierend. Mit der Übernahme dieser wellenartig wiederkehrenden, rhythmisch vielschichtigen Figuren auch in den Bläsern scheint die jetzt erreichte hochenergetische Klangballung Zielpunkt der Entwicklung zu sein: Sobald jedoch die reißende Bewegung des Orchesters höchste Intensität erreicht hat, setzt das Xylophon abbremsend ein, und führt mittels eines kurzen, abschließenden Dialoges von Flöte und Xylophon zurück zum kammermusikalisch-orchestralen Ansatz von INTEGRAL.


Zu VISAGES BRULÉS für Klaviertrio (1987)
Die " verbrannten Gesichter" ("Brandgesichter"); ein hochdifferenziertes Klaviertrio, stellt in seinen essentiellen Kontrasten, dem ständig bis an die Grenzen und über die Grenzen gehenden Klang/Geräusch-Abtausch sowie der Unmöglichkeit, Kompromisse zu bilden und Verbindungen einzugehen, ein -vielleicht nur durch die Zeitabfolge und das gemeinsame Instrumentarium verbundenes, das meint in ein Kontinuum gebrachtes, - Nacheinander von autonomen Szenen dar.

Die bereits zu Beginn hörbare polarisierende Beschaffenheit solch kontrastierender Szenen verhindert über lange Zeitstrecken hinweg die Entwicklung kommunikativ-symbiotischer Äußerungen. Die Zerrissenheit artikuliert sich jedoch auch innerhalb einzelner Passagen; so in dem Teil, der die rhythmische Synchronität der permanent als schriller Cluster "geschlagenen" 4 höchsten Töne des Klaviers mit den harten Gegenakzenten der Streicher und den allmählich aufsteigenden Akkordschlägen der linken Hand anstrebt: Nachdem die Synchronitätsdifferenz durch kontinuierliche rhythmische Annäherungsschritte bis auf Vorschlagsdauer gekürzt ist, gehen die Streicher in dem Moment. in welchem das zeitgleiche Zusammentreffen der 4 beteiligten Impulse möglich, ja wahrscheinlich wäre, über diesen hinaus, verweigern sich ihm. Damit ist der Auflösungsprozeß dieser Szene in Gang gesetzt; der "falsche" Schein vorhandener Homogenität und Einsinnigkeit wird vermieden.

Auch das Ende von VISAGES BRÜLES, die Wiederaufnahme der ff-Glissandi in Verbindung mit harten Tritoni, ist kein finalisierender Schluß im eigentlichen Sinn. das Stück könnte weitergehen. Es ist keine Lösung angestrebt, die z.T. versöhnlicheren Gesten und Abgesänge zeigen keine Wirkung. Insofern sind die Visages brüles "Endzeitgesänge". gleichermaßen End-wie Anfangspunkte-für mich ist damit auch ein nicht weiter auslotbarer Punkt erreicht.


Zu >>L'ABIME<< für Altflöte, Violoncello und Akkordeon (1990)

LABIME (frz. "der Abgrund.<) wird weitgehend von 3 variabel gehandhabten Gestaltungselementen bestimmt:

A. Ein schier unhörbares "In-die-Zeit-Treten" von Klängen, die wohl schon immer da sind, aber an bestimmten Zeitpunkten erst wahrgenommen werden. Sie sind der Eingrenzung sich entziehend: durch weiche, flüchtige Unschärfe der Abgrenzungen; es sind extrem leise Klänge in mikrotonalen Schichtungen, oft wenig über dem Verstummen angesiedelt. Besonders deutlich wird dies in der Fragilität des Beginns, an der Hörbarkeitsgrenze.
B. Repetition/lnsistenz mit unterschiedlicher Beschaffenheit: So die an menschlichem Atem sich orientierende, stets gleichartige Wiederaufnahme ("schwer atmend"), aber auch insistent repetierende Tonwiederholungen wie "Repetition presto possibile", verbunden mit ständigem unregelmäßigen Umschalten von 4 , 8' und 16' Registern des Akkordeons. oder kaum mehr wahrnehmbare Vibrationen, bezeichnet mit "zarteste Bebungen, weniger Repetition<<.

C. Sich expressiv stauende und entladende Spannungen: z.B. "brutale.,. in allernächster Nähe zur kontrastierenden "zartesten Bebung". Gemeinsam ist den 3 Elementen - trotz ihrer Gegensätzlichkeit- die der gesamten Komposition wesentliche Eigenschaft des sich jedweder Begrenzung Entziehens: Bei A durch die oben erwähnte Unschärfe der Abgrenzung, des "In-die-ZeitTretens" an der Hörgrenze, des Verweigerns von Konkretion: bei B durch das sich anfänglich als unverändert Darstellende, sich dann jedoch dem Hören Entziehende: zudem tragen auch die weichen und unscharfen Klänge trotz vielschichtigster und changierender Bewegung Momente von Insistenz in sich: z.B.: durch die mikrotonalen, wiedererkennbaren Eck- und Bezugstöne, die durch Farb- und Klangbewegungen figuriert und umspielt werden. Auch die in C genannten Spannungen sind trotz sich heftig entladender Energien nie isoliert, sondern stets aufgehoben in vielerlei Verbindungen zu den angrenzenden Phasen: so auch durch kontinuierliche. in andere Zustände überführende Prozesse.

Die nach den verhaltenen und zarten initiierenden Schwebungen einsetzende 1. Repetitionsphase des Beginns, "breit, mit Nachdruck; aber pp", "schwer atmend", nach ihrem Ins-BewußtseinDringen bemüht, sich stetig zu entfernen, schließlich ins Unhörbare sich verlierend, wird gegen Ende des Stückes verkehrt in eine Verdichtung bis hin zum nicht mehr von Pausen durchbrochenen Klang. Am Zielpunkt dieser scheinbar finalisierenden Entwicklung verweigert UABIME sich jedoch erneut: Das Stück endet nicht, es entzieht sich durch das stetige Verlängern der "Erwartungspausen" der Wahrnehmung. Die Zeit wird "unmeßbar", die schweigenden Klänge (Pausen) "verlängern" sich "in die Unmeßbarkeit": Trotz sich steigender Lautstärke wird ein Ende nicht erreicht, keine Entscheidung wird getroffen, alles ist möglich, der Abgrund (L'abime) muß nicht wahrgenommen werden.


Zu " 3 Sätze für Blockflöten und Cembalo" (1980)
Die 3 Sätze für Blockflöten und Cembalo von 1977 suchen eine eigene; spröde und herbe Klangsinnlichkeit zu erfahren. Ein in späteren Arbeiten wie "NOMOS-Gegenbild" (19891 oder "CONTINUAMENTE" (1992/94) differenziert to rmender Strukturalismus steht den an der Grenze zum expressionistischen Gestus balancierenden "3 Sätzen" noch fern. Die nämliche gefährdete Zerbrechlichkeit ist auch dem folgenden, eng mit den Blockflötenstücken verwobenen und mit ihnen entstandenen Gedicht zu eigen:

sattsam gebroch'nes tageslicht
endloser flure,
wunde gedanken mächtend
regloser
blutender zeit.

schreienden taktes sinnloser geifer
erstickt die letzte der
wartenden sonnen:

geronnene wände
frösteln.


Zu "QUARTETT 2" für Flöte, Klavier, Schlagzeug und Violoncello (1987/94) Quartett 2 aus dem Jahre 1994 ist die Umarbeitung und Einrichtung für Querflöte des Quartett 1 für Blockflöten, Klavier, Schlagzeug und Violoncello aus dem Jahre 1987. UA "Quartett 1 ": SDR Sendesaal Studio Karlsruhe am 9.Mai 1988

Toni Völker, 1996

 

 

 

Notenbeispiel